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Digital vernetzt in eine andere Zeit

Fully featured mit E-Bike, Goretex-Aktiv­klamotten, Handy und Tablet im wasserdichten Rucksack. Navi am Lenkrad und Smarthelm aus Titan mit Bluetooth für Smartphone und GPS.

So ging es rund um den Bodensee. Für den ersten Tag hatte ich eine Route von 65 Kilometern geplant. Ziel war es, die 260 Kilometer in fünf Tagen zu radeln. Gegen späten Nachmittag führte mich das Navi zielsicher zu meiner Pension mit Frühstück in einem kleinen Nest am südlichen See.
E-Bike sicher abstellen, erst einmal duschen und dann was essen. Wo? Gaststätte Zum Ochsen, empfahl mein Gastgeber. Sei eh die einzige, allerdings im nächsten Dorf. Zu Fuß eine Viertelstunde. Also stand ich in Fahrradklamotten und Rucksack vor der Beiz.

Drinnen setzte ich mich an einen blank gescheuerten, großen Tisch, auf dem ein Ungetüm von eisernem Aschenbecher thronte. Versehen mit der Aufschrift „Stammtisch“. An sich sei der nur für Einheimische, brummelte der Wirt und brachte mir etwas widerwillig meinen Wurstsalat und ein großes Bier. Dunkle Einrichtung aus schwerem Holz und ein knarzender, schöner alter Holzboden. Auf der Tischkante waren kleine Messingschilder aufgeschraubt mit Namen der Stammtischler, die diese Welt schon verlassen haben.

An den Wänden vergilbte Bilder vom Sportverein, der freiwilligen Feuerwehr und dem Narrenverein. Über der Theke ein Schal vom VfB Stuttgart und dem FC Bayern. Im Laufe des Abends war der Tisch voll besetzt, und ich kam mit den Stammtischlern ins Gespräch.
Der ehemalige Metzger, Bäcker oder Tischler erzählten Geschichten rund um den See, die ich beim Googeln so nie gefunden hätte. Kein Mega-Smart-TV an der Wand, das permanent lief. Kein Handy mit nervigen Tönen und keine Musik aus dem Spotify-Webplayer beschallten uns. Wir tranken Bier und Obstler, und ich fühlte mich in eine andere, entschleunigte Welt versetzt.

An diesem Abend war ich Teil einer Gemeinschaft, die man in den hippen Szenebars und Klubs bei Electro oder Housemusic in meiner Stadt so nicht erlebt. Wir quatschten über Fußball, die große Politik und die ganze Welt. Einige Runden Bier und Obstler später spendierte der Wirt noch ’ne Runde Achtele. Besser zum Schlafen, meinte er. Allgemeiner Aufbruch.

Ich schlurfte die 30 Minuten zur Pension, und der Wirt sollte recht behalten. Am nächsten Morgen: Auf dem Handy waren etliche Whatsapp- und Sprachnachrichten, mit deren Beantwortung ich den halben Abend verbracht hätte. Waren alle nicht so wichtig. War ein richtig guter Abend, und ich hatte Menschen kennengelernt, die mir mehr in Erinnerung bleiben werden als der größte Teil meiner unzähligen Facebook-Freunde.
Wohltuend, sich mal ab und zu von der digitalen und vernetzten Welt zu verabschieden. Voll equipped startete ich meine nächste Etappe. Sollte ich irgendwann mal wieder in die Gegend kommen, habe ich ja vielleicht ein kleines Messingschild mit meinem Namen darauf im Rucksack.

Nichts für ungut
Euer Viktor