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Es geht auch anders …

Jeden Morgen das gleiche Ritual: Der Espresso läuft durch die Maschine, der Computer wird hochgefahren – und ganz wichtig: Habe ich neue Nachrichten auf dem Smartphone? Facebook, Whatsapp, Twitter oder Instagram: Was geht ab? Wer hat was wann und wo geliked, gepostet oder getwittert? Was machen alle meine Freunde, von denen ich die meisten gar nicht kenne?

Egal, Hauptsache vernetzt. Da wird gepostet auf Teufel komm raus. Texte, Bilder, Videos, einfach alles. Ein Selfie von Coco aus dem Urlaub. „Hey Leute, ist supergeil hier auf Malle, vermisse euch.“ Ging wahrscheinlich an 50 Whatsapp-Kontakte und unzählige Facebook-Freunde. Habe Coco sofort ein „Like“ geschickt, obwohl ich immer noch überlege, wer Coco eigentlich ist.

Wildfremde User laden mich zu Partys oder sonstigen Vergnügungen ein, schicken Videos, Musik oder Tipps. Geh mal da- oder dorthin. Da kommen Bilder von Tonys Lieblingsitaliener mit Penne, Pasta und was weiß ich alles. Sieht toll aus bei Roberto, aber wer ist Tony? Und Robertos Restaurant ist leider 800 Kilometer von mir entfernt. Vielleicht bin ich ja mal in der Nähe.

Da taucht man in seine digitale Welt ein. Empfängt die neueste Mucke in der Dropbox. Bekommt Grüße aus aller Welt in Echtzeit mit so viel mehr oder weniger Inhalt und Kitsch, dass es manchmal nur schwer zu ertragen ist. Aber kostenlos und rund um den Erdball zu jeder Zeit. Da bin ich dabei. Logisch. Nachdem ich mal eben alles gecheckt und meinen Espresso getrunken habe, schaue ich auf dem Weg zur Arbeit noch kurz in den Briefkasten. Jede Menge Werbung, der Flyer einer neuen Dönerbude und – ­unfassbar – eine Postkarte. Ein Pfund Werbung und den Flyer stopfe ich sofort in den Papierkorb an der Bushaltestelle. Kaufe eh nur im Netz, und wenn Döner, dann online über Lieferando.de. Ab in den Bus.

Da sind sie wieder alle in ihre Smartphones vertieft. Und ich halte ein Relikt aus uralter Zeit in der Hand. Eine Postkarte. Erst einmal lesen, wer da schreibt. Carsten, mein alter Kumpel, schickt mir eine Karte aus dem Urlaub. „Hey Alter, wollte mich mal wieder melden. Ich hoffe, bei dir ist alles okay. Bin seit drei Monaten auf Tour durch Australien. Bis denne, Carsten“.

Da schau ich mir die Briefmarke und den Stempel genau an. Wahnsinn, das Datum ist schon drei Wochen alt. Und seine Schrift: wie früher, als wir noch in der Penne waren. Sauber und super lesbar. Vorne ein tolles Motiv von einem Strand mit Palmen und Meer. Carsten hat doch ein Handy, oder hat er es verloren?

Es fiel mir ein, wie ich Carsten zum Geburtstag eine Kassette geschenkt hatte mit Songs, die ich in mühsamer Arbeit aufgenommen hatte. Dann spielten wir stundenlang die Musik auf seinem Grundig-MCF-100-Kassettendeck immer wieder ab, und dazu gab es Cola und Kraft Miracoli mit leckerer Tomatensoße aus der Packung. Und wir quatschten über Gott und die Welt. Da ich zum Geburtstag immer bei ihm übernachtete, schauten wir bis spät in die Nacht Videofilme aus der Videothek auf seinem Video-2000-Rekorder. Meine Filme konnten wir nicht sehen, ich hatte ja VHS.

Ganz in Gedanken hatte ich fast die Haltestelle verpasst. Also raus und ab ins Büro. Die schöne Karte pappte ich an meinen PC. „Schau mal, der hat ’ne Postkarte bekommen. Ist ja irre, gibt’s so was noch?“, frotzelten die Kollegen. Klar doch, von meinem alten Freund Carsten aus Australien. Unglaublich, die war drei Wochen unterwegs. Toll, oder? Mittags saß ich vor meinem Cappuccino to go, aß meinen Bagel und las mir noch einmal die Postkarte durch.

Da bekam ich eine Whatsapp-Nachricht. Ich glaub es nicht, Carsten schreibt: „Haste die Karte bekommen? Wollte dir keine blöde Mail schicken, sondern was Persönliches. Bist schließlich mein bester Freund. Bis denne auf ein“.
War eine tolle Überraschung.

Euer Viktor