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„Et kütt, wie et kütt“ – das rheinische Grundgesetz trifft auf Weihnachten

Alle Jahre wieder kommt sie, diese besinnliche Zeit. Doch jedes Mal überrascht sie uns unvorbereitet. Als hätten wir sie total vergessen. Dabei wurden wir schon Anfang September buchstäblich mit der Nase darauf gestoßen: Dominosteine, Lebkuchen, Lichterketten. Überall.

Ach ja, Weihnachten. Ist ja noch Zeit. Schließlich sitzt man doch noch bei strahlendem Sonnenschein draußen im Café und schlürft seinen Latte macchiato, spricht mit seinem Tischnachbarn über Besinnlichkeit und Kommerz des Fests. Bloß keine Hektik aufkommen lassen. Und dann wird es auf einmal ganz eng, und er ist wie jedes Jahr wieder da, trifft uns wie ein rechter Haken von Wladimir Klitschko: der Stress mit dem Fest.

Dabei haben uns die vollen Süßigkeitenregale in den Supermärkten doch frühzeitig daran erinnert, was da auf uns zukommt. Und wie jedes Jahr nutzen wir diese Chance nicht. Wer nicht sehen will, muss fühlen. Und es fühlt sich mies an, wenn wir durch die Geschäfte hetzen und uns den Kopf über Geschenke zermartern. Da hilft es uns auch nicht viel weiter, wenn es Millionen Weihnachtsgetriebenen ebenso ergeht. Da sind wir ganz auf uns allein gestellt.

Was wir wem schenken, beschäftigt uns ununterbrochen. Wir könnten ja diesmal Geschenke selbst machen. Plätzchen backen, Weihnachtskonfitüre einmachen, Pudelmütze oder dicke Socken stricken, Spielzeug basteln. Nee, zu spät. Damit hätten wir früher anfangen müssen. Vielleicht Geschenkgutscheine oder Geld in einem Umschlag mit Sternchen drauf. Wobei das ja irgendwie den Charme einer Rabattmarke hat.

Weihnachtliche Pay-back-Karte? Dann denken alle, man hätte sich keine Gedanken über ein schönes Geschenk gemacht. Für viele ein No-Go. Dabei kann ein Gutschein doch sehr kreativ sein. Fallschirmsprung für die liebe Schwiegermama. Wäre doch mal etwas Außergewöhnliches. Lieber nicht. Also stürzen wir uns in den Trubel. Und wenn wir in den proppenvollen Einkaufszonen einen Bekannten treffen, und er fragt uns: „Wie geht’s?“, kommt ein „Bin im Stress“ oder „Oh Gott, frag nicht“. Oder ganz schlimm, wenn wir genervt „Bin froh, wenn es vorbei ist“ antworten. Und sollten wir mal jemanden fragen, und er antwortet mit einem lächelnden „Mir geht’s prima“, halten wir ihn doch sowieso für einen Aufschneider. Oder hat er den Ernst der Lage nicht begriffen?

„Markt und Straßen steh’n verlassen, still erleuchtet jedes Haus, sinnend geh’n wir durch die Gassen, alles sieht so festlich aus.“ So sah es jedenfalls Joseph von Eichendorff. Der gute Eichendorff war aber im 19. Jahrhundert unterwegs. Wo einst Markt und Gassen verlassen waren, schieben wir uns im Strom der Massen durch die Fußgängerzonen. Ersäufen unseren Frust mit grausam schmeckendem Glühwein in Trauben von Gleichgesinnten an miefenden Weihnachtsbuden. Und in den Augen der Mitstreiter sehen wir nicht den Glanz der Vorfreude auf das Fest, sondern die nackte Panik, es nicht mehr rechtzeitig zu schaffen mit den Geschenken.

Und wie jedes Jahr haben wir es doch wieder hinbekommen. Da sitzen wir im Kreise der Lieben und packen unsere Geschenke aus. Die Lichter brennen, der Braten duftet, und die stille Nacht ist endlich da. Na ja, so stressig war’s nun auch nicht. Aber nächstes Weihnachten passiert mir das nicht mehr. Da werde ich im Sommer auf Gran Canaria am Pool liegen und das Fest planen, bis ins Detail. Wer’s glaubt, wird selig. Denn wir wissen es ja: „Et kütt, wie et kütt.“

Euer Viktor